FG Immobilienwirtschaft und Baubetriebswirtschaftslehre
Die deutschen Innenstädte erleben gegenwärtig einen tiefgreifenden Strukturwandel, der die etablierten Konzepte der Immobilienwirtschaft, insbesondere die bislang vorherrschende Ausrichtung auf den Einzelhandel, infrage stellt. Dieser Wandel wird maßgeblich durch gesellschaftliche, technologische und ökologische Megatrends vorangetrieben. Auf diesen Wandel wurde in vielen deutschen Innenstädten augenscheinlich nicht ausreichend reagiert, was sich in Form von steigenden Leerständen und fallenden Mietpreisen für Einzelhandels-flächen – was das Risiko von Abwärtstrends (Trading-down-Effekte) mit sich bringt – zeigt. Dies erzeugt erheblichen Handlungsdruck für eine große Zahl an Immobilieneigentümern, die sich nun vor die Herausforderung gestellt sehen, ihre innerstädtischen Immobilienbestände an die veränderte Realität und den Bedarf der Bürger anzupassen. Den Eigentümern und der deutschen Volkswirtschaft als Ganzer droht ein Verlust des in Innenstädten investierten Kapitals. Im Zuge dessen stellt sich für die Eigentümer die wichtige Frage, wie sie ihre Immobilienbestände erfolgreich durch den nötigen Transformationsprozess führen können. Dieser Frage wird im Rahmen des Forschungsprojektes „Transformation der Innenstädte“ mit zwei Studien nachgegangen.
Das Ziel der ersten Studie besteht darin, die Bedürfnisse, Wünsche und Erwartungen der Bürger an zukünftige Innenstädte zu verstehen. Darauf aufbauend werden Handlungsempfehlungen gegeben, um die deutschen Innenstädte in spannende, lebendige „Lieblingsorte“ zu transformieren, die gleichzeitig aber auch wirtschaftlich tragbar sind. Hierfür wurden die Bürger im Rahmen einer groß angelegten Befragung von deutschen Haushalten zur vergangenen Veränderung der Innenstadt, der Innenstadt heute und den zukünftigen Anforderungen an Innenstädte befragt. Insgesamt wurden 1.069 Bürger aus verschiedenen sozialen Milieus in ganz Deutschland befragt.
Die Ergebnisse verdeutlichen, dass deutsche Innenstädte zuletzt deutlich am Bedarf einer Mehrheit der Bürger vorbei entwickelt wurden. Essenzielle Bedürfnisse der potenziellen Nutzer werden bislang nicht befriedigt, wodurch sich Handlungsbedarf im Bereich der Funktionsausgestaltung ergibt. So wünschen sich 55 % der Bürger eine Attraktivitätssteigerung bei der Erholungs- und Freizeitfunktion der Innenstädte und jeweils 52 % in der Qualität des öffentlichen Raums sowie des Wohnens. Auch die Attraktivität des Einzelhandels spielt für 47 % der Befragten als Bürgermagnet weiterhin eine wichtige Rolle. Die Studienergebnisse verdeutlichen, dass die Transformationspfade der Innenstädte individuell ausgestaltet werden sollten, da sie zum großen Teil von den lokalen Rahmenparametern der und denen der jeweiligen Nutzer (Milieus) der Innenstadt abhängen. Besonders deutlich zeichnen sich die milieuspezifischen Anforderungen an der Einzelhandelsfunktion ab: Während im Mittel über alle Befragten 47 % eine Attraktivitätssteigerung im Einzelhandel sie zukünftig öfters in die Innenstadt zieht, trifft dies in der Gruppe junger, gut ausgebildeter Städter nur bei 37 % zu, wodurch eine Attraktivitätssteigerung im Einzelhandel einen geringeren Magneteffekt auf dieses Milieu ausübt. Wohnen und (Büro-)Arbeit spielen dabei im zukünftigen Funktionsmix eine wichtige Rolle, die Innenstädte über die Woche und den Tag homogener auszulasten, und dadurch zu lebhaften Orten zu machen. Dass sich 39 %/26 % der befragten Bürger grundsätzlich vorstellen können in der Innenstadt zu arbeiten/wohnen unterstreicht das immense Potenzial, welches aus diesen Funktionen für die Wiederbelebung der Innenstädte, sofern der bedarfsgerechte Rahmen geschaffen wird, erwächst.
In Bezug auf die möglichen Angebote und Aktivitäten, welche den zuvor angesprochenen Funktionsmix unterfüttern, zeigen die Studienergebnisse, dass einige Angebote Pflichtbestandteile für Innenstädte darstellen, während andere das Potenzial haben die Bürger darüber hinaus zu begeistern. Konkret heißt das, dass grundlegende Angebote (bspw.: Nahversorgung 46 %; Versorgung mit Ärzten 45 %; Schulen 33 % der Befragten) für weite Teile der Bevölkerung Pflichtkriterien (Must-Be) in den Innenstädten darstellen, ohne die die Innenstadt als Ganzes abgelehnt wird. Auf der anderen Seite können das Individuelle, Lokale (bspw. lokale Produkte: 23 %; lokale Nahrungsmittel: 17 %) und die Möglichkeit den individuellen Charme der Stadt zu erleben (bspw. Mitmach-Manufakturen: 21 %; Open-Air Kinos: 19 %; lokale Künstler: 14 %) die Bürger begeistern. Innenstadtakteure müssen den Spagat zwischen notwendigen Angeboten und Angeboten, die die Bürger mitreißen und begeistern können, schaffen.
Die Studienergebnisse zeigen, dass die Attraktivitätssteigerungen der Innenstadt sowohl im Nutzungsmix der Immobilien (bspw. Freizeit für 55 %, Wohnen für 52 % oder Einzelhandel für 47 % der Befragten) als auch in der Aufenthaltsqualität des öffentlichen Raums (bspw. Qualität des öffentlichen Raums für 52 % oder Grün- und Freiflächen für 52 % der Befragten) notwendig sind. Die dies berücksichtigende, ganzheitliche Vision und Innenstadtstrategie gilt es von Seiten der Kommunen als Leitplanken für die Immobilieneigentümer vorzugeben. Kommunen haben damit die Chance, bedarfsgerechte und wirtschaftlich tragbare Innenstadtentwicklung zu initiieren. Dieser grundsätzliche Rahmen muss sich, datenbasiert, eng am Bedarf der betroffenen Bürger orientieren. Die Genehmigungsprozesse und Regelwerke müssen an dem Ziel der erfolgreichen Transformation der Innenstadt ausgerichtet werden und darüber hinaus müssen im Tandem mit den (langfristig und strategisch orientierten) Immobilieneigentümern Projekte mit Leuchtturmwirkung geschaffen werden. Einer symbiotischen Herangehensweise mit gegenseitigem Geben und Nehmen sollte Vorrang vor Alleingängen gewährt werden.
Das Ziel dieser zweiten Studie besteht darin, die Bürgerpräferenzen bezüglich der Ausgestaltung des Innenstadtquartiers und des konkreten Nutzungsmixes von Innenstadtimmobilien zu verstehen. Die Studienergebnisse bieten damit eine erste Grundlage, welche im Dialog um die Innenstadtentwicklung und in zukünftigen Planungsverfahren strukturiert berücksichtigt werden kann. Die Bürgerpräferenzen bringen zum Ausdruck, in welcher Form die Nutzer ihre Bedürfnisse in den Innenstädten befriedigt sehen möchten. Im Rahmen einer groß angelegten Haushaltsbefragung mit über 1.000 Bürgern aus allen gesellschaftlichen Milieus wurden unterschiedliche Bürgerpräferenzen zu folgenden Teilbereichen abgefragt:
– zur Ausgestaltung des Innenstadtquartiers,
– zur (Finanz-)Ressourcenallokation bei der Nachhaltigkeit im Innenstadtquartier,
– zu konkreten Flächenallokationen in einer Mixed-Use-Innenstadtimmobilie
– zur Flächenallokation der mittleren Geschosse der Mixed-Use-Innenstadtimmobilie.
Die Studienergebnisse zeigen deutlich, dass deutsche Bürger bei der Ausgestaltung von Innenstadtquartieren einen ausgewogenen Mixed-Use-Ansatz präferieren. Angebote für Shopping, Freizeit und Wohnen werden von den Bürgern am stärksten präferiert und liegen in ihrer Wichtigkeit nahe beieinander (Shopping: Rang 1 mit 5,5 % höherer Präferenzdeckung als Wohnen: Rang 3). Dass in Bezug auf das Innenstadtquartier mehr Stadtgrün (Rang 1 der präferierten Quartierselemente), ein fahrrad-/fußgängerfreundliches Layout (Rang 2) sowie der Fokus auf den ÖPNV (Rang 3) insgesamt am stärksten von den Bürgern präferiert werden, eröffnet Anknüpfungspunkte für die öffentliche Hand. Der öffentliche Raum als Aushängeschild der Innenstadt sollte von den Kommunen bedarfsgerechter im Sinne der erkannten Bürgerpräferenzen – multifunktional, grüner und fußläufig – transformiert werden. Überraschend war, dass die Bürgerpräferenzen zur Ausgestaltung des Innenstadtquartiers zeigen, dass sie kaum signifikante Unterschiede zwischen den Einkommen der Bürger und Milieus, wohl aber hinsichtlich der jeweiligen Stadt(-größe) aufweisen. Die Ausgestaltung des Quartiers ist damit keine Frage des Einkommens. Hieraus ergibt sich für die öffentliche Hand die Erkenntnis, dass bedarfsgerechte Innenstadtquartiersentwicklung den Bürgern und Milieus in der Gesamtheit zugutekommt.
Im Zuge der Betrachtung von Nachhaltigkeit im Innenstadtquartier zeigen die Studienergebnisse, dass allen drei Dimension (Ökologie: 34,4 %, Soziales: 33,8 % und Ökonomie: 31,8 %) eine annähernd gleich hohe Bedeutung zugemessen wird, ökonomische Faktoren wie die Förderung lokaler Unternehmen über alle Dimensionen die zweithöchste Bürgerpräferenz erfahren. Auffällig ist, dass die Begrünung des Quartiers für 45 % der Befragten das wichtigste Element der Ökologie (vor technischen Lösungen mit 29 %) ist. Eine vermeintlich kostengünstige Gestaltungsentscheidung der öffentlichen Hand, in der am Grünanteil gespart wird, könnte somit am Bedarf der Bürger vorbeigehen und gesamtwirtschaftliche Nachteile hervorrufen. Im Bereich der sozialen Nachhaltigkeit ist für 35 % der befragten Bürger das Sicherheitsempfinden der wichtigste Aspekt. Auch der gesellschaftliche Austausch und Zusammenhalt ist für die Befragten ein wichtiger Bestandteil der sozialen Nachhaltigkeit im Innenstadtquartier. Die Schaffung von Angeboten für Bürger mit niedrigen Einkommen und für alle Generationen wird von den Bürgern stark präferiert (Rang 2/3 in der sozialen Dimension). Diese Präferenzen bieten den Kommunen und der Politik wertvolle Erkenntnisse über die Präferenzen und den Bedarf der Bürger, um die Ressourcenallokation betreffend der Nachhaltigkeit mehrheitsfähig zu steuern.
Die Bürgerpräferenzen zur Flächenallokation in Innenstadtimmobilien wurden am Beispiel eines viergeschossigen Warenhauses mit Dachterrasse und Untergeschoss untersucht. Die Studienergebnisse verdeutlichen, dass der jeweilige Nutzungsmix stark von lokal individuellen Parametern geprägt wird (z. B. Einkommensklasse, Milieu). Dennoch wird dem Einzelhandel in erdgeschossnahen Lagen noch immer ein wichtiger Anteil der Flächenallokation zugeschrieben. Die Studienergebnisse belegen, dass abhängig vom umliegenden Angebot flankierende Nutzungen der Grundversorgung durch Nah- oder Gesundheitsversorgung im UG/EG oder 1. OG oder Gastronomie einen erheblichen Hebel zur Deckung der Präferenzen der Bürger bieten können. Dabei ist es wichtig, zu erwähnen, dass der kleinteilige günstige Einzelhandel mit Abstand am geringsten in den Geschossen präferiert wird. Die Studienergebnisse verdeutlichen damit, dass sich eine Nachnutzung um jeden Preis nicht empfiehlt. Die geringe Voreingenommenheit (2./3. OG mit dem geringsten Bedeutungsgewicht aller Geschosse) der Bürger zur Nutzung der mittleren Geschosse bietet im Gesamtkonzept das Potential, die verschiedenen Nutzungen innerhalb des Gebäudes auf kreative Art und Weise zu verknüpfen. Gastronomische Angebote wie Cafés (Gesamtrang 2) und Imbisse (Gesamtrang 3), aber auch die Gesundheitsversorgung werden hier am stärksten präferiert. Besonders auffällig ist, dass die konkrete Ausgestaltung der mittleren Geschosse kaum Unterschiede zwischen den Einkommensklassen oder Milieus aufweist. Damit bergen die mittleren Ebenen das Potenzial, nicht nur den „Kitt“ zwischen den Hauptnutzungen, sondern auch zwischen der Gesellschaft und Stadtmilieus zu stellen. Überraschend ist, dass den Nutzungen auf der Dachterrasse aus Sicht der Bürger – noch vor den Erdgeschosslagen – das höchste Bedeutungsgewicht zukommt (EG: 16 %; Dachterrasse: 18 %). Ein Blick auf die Dächer deutscher Innenstädte zeigt, dass hier ein immenses Potenzial bislang ausgelassen wird.
Einen integralen Bestandteil im neuen Nutzungsmix bilden gemäß den Studienergebnissen das Wohnen und die Büroarbeit. So werden, laut Studienergebnissen, Wohnkonzepte in den oberen Geschossen am stärksten und Büroarbeit am zweitstärksten präferiert. Spannend im Kontext der ersten Studie ist auch, dass der Wunsch der befragten Bürger in der Innenstadt zu arbeiten und zu wohnen deutlich steigt, nachdem sie sich ihren „Wunsch-Nachnutzungsmix“ erstellt haben. Zustimmungswerte steigen in Bezug auf das Wohnen von auf 39 % auf 62 % und in Bezug auf das Arbeiten von 57 % auf 64 % (Zustimmung in der ersten Studie auf die Zustimmung in der zweiten Studie). Das verdeutlicht, dass die bedarfsgerechten Innenstädte immenses Potenzial haben, die aktuelle Landflucht im Wohnen abzumildern oder sogar umzukehren. Denn Wohnen und Arbeiten spielen – wie in der ersten Studie bereits gezeigt – eine bedeutende Rolle bei der durchgängigen Belebung der Innenstädte.
Damit präferenzorientierte und bedarfsgerechte Innenstadtimmobilien zur Belebung der Innenstadt beitragen können, ist eine übergeordnete strategische Ausrichtung der Kommunen und ihrer Planungsinstrumente und konkreten Genehmigungsprozesse notwendig. Dabei empfiehlt es sich, langfristig und strategisch orientierte Immobilieneigentümer, die mit ihren Entwicklungskonzepten optimal den Bedarf der Bürger unter Ausnutzung von Synergien/Kopplungseffekten decken, aktiv zu fördern. Konkret sind schnelle, einfache Genehmigungsverfahren und Flexibilität in der Durchführung notwendig, damit dies gelingen kann. Hierfür ist es zweckdienlich, die strategische Ausrichtung am Bedarf der Bürger und der Eingliederung in der Innenstadt als Teil des Genehmigungsprozesses zu institutionalisieren.
Die hochkarätig besetze Forschungsinitiative wurde mit dem Ziel mit datenbasierten Untersuchungen wissenschaftliche Handlungsleitlinien für zukunftsfähige Innenstadtnutzungen zu earbeiten.
JC Real Estate initiiert zusammen mit der CBRE Deutschland GmbH, der EBS Universität für Wirtschaft und Recht, der IFH Köln GmbH, der P&C Düsseldorf KG und der Technischen Universität Darmstadt ein deutschlandweites Forschungsprojekt zur Transformation der Innenstädte. Mit diesem sollen unterschiedliche Ursachen, Wirkungen und Erfolgsfaktoren für eine zukunftsfähige Innenstadtentwicklung identifiziert werden.
Name | Arbeitsgebiet(e) | Kontakt | |
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| Prof. Dr. Andreas Pfnür Leiter des Fachgebiets Immobilienwirtschaft und Baubetriebswirtschaftslehre | pfnuer@bwl.tu-... +49 6151 16-24510 S1|02 31 | |
| Jonas Rau M.Sc. Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachgebiet Immobilienwirtschaft und Baubetriebswirtschaftslehre | rau@bwl.tu-... +49 6151 16-24512 S1|02 31 | |
| Fabian Lachenmayer M.Sc. Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachgebiet Immobilienwirtschaft und Baubetriebswirtschaftslehre | lachenmayer@bwl.tu-... +49 6151 16-24513 S1|02 38 |